Ein Streich mit einem Helden

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Ein Streich mit einem Helden - Bei seinem zweiten Raumflug spielte die Crew John Glenn einen Streich

Wenn man es mit einem Helden wie dem Astronauten John Glenn zu tun hat, behandelt man diesen Menschen mit ausgesuchtem Respekt. Einem Helden spielt man keinen Streich – außer man fliegt ins Weltall.

John Glenn: Astronaut, Senator, Held

Die legendären ersten sieben Astronauten der USA vom Anfang der 1960er-Jahre waren ohne Zweifel mutige Menschen. Als erfahrene Testpiloten waren sie besonders geeignet, sich in die winzige Mercury-Kapsel zu zwängen und sich mit kaum erprobten Raketen ins Weltall schießen zu lassen. Diese Fähigkeit, ein extrem hohes Risiko einzugehen, führte andererseits zu einem ausschweifenden Leben. Schnelle Autos, Alkohol, Zigarren und Frauengeschichten gehörten zum Image der frühen Astronauten – außer bei einem. John Herschel Glenn (1921 bis 2016) unterschied sich in vielen Punkten von seinen Astronautenkameraden. Von ruhigem Charakter, religiös und als fleißiger Arbeiter bekannt, versuchte er seine Kameraden zur Zurückhaltung zu mahnen, da sie für die Jugend eine Vorbildfunktion erfüllten. Wie alle sieben Astronauten, war Glenn verheiratet. Seine Frau Anna kannte er seit dem Kindergarten. Durch ihre Sprachstörungen kam er früh mit sozialen Diensten in Kontakt. Beide engagierten sich dann als Erwachsene ehrenamtlich in Fördergruppen. Glenn war lange Zeit das einzige Mitglied unter den Astronauten, welches aus dem Marinecorps kam, das von den anderen Militärgattungen als zweitklassig angesehen wurde. Aus einem Arbeiter-Elternhaus stammend, war Glenn auch lange Zeit der einzige im Umfeld der NASA, der sich zur Demokratischen Partei bekannte.

John Glenn 1962 vor seinem ersten Raumflug (alle Bilder: NASA)

Die ersten beiden Mercury-Flüge ins Weltall waren suborbital. Die Flüge von Alan Shepard und Virgil Gus Grissom dauerten je nur etwa 15 Minuten. John Glenn wurde ausgewählt, die Mercury erstmals bemannt in den Orbit zu fliegen. Am 20. Februar 1962 startete Glenn auf einer Atlas-Rakete ins Weltall. Nach fast fünf Stunden und drei Erdumrundungen landete er mit der Kapsel im Atlantik. Glenn und seine Frau wurden darauf zu Präsident John F. Kennedy eingeladen. Die beiden Männer verstanden sich gut und blieben bis zur Ermordung Kennedys in Kontakt. Glenn wurde durch seinen Flug zum gefeierten Nationalhelden. Heute glauben viele Amerikaner, er sei der erste US-Bürger im Weltall gewesen. Angeblich soll Kennedy die NASA angewiesen haben, Glenn keinen weiteren Raumflug zu geben, damit der Held der Nation nicht gefährdet wird. Nach dem Ende des Mercury-Programms verließ Glenn 1964 die NASA. Schon 1962 hatte ihm der Bruder des Präsidenten, Robert F. Kennedy, vorgeschlagen, in die Politik zu gehen. Seine ersten Bemühungen um ein politisches Amt wurden durch einen Unfall während der Kampagne zu Nichte gemacht. Anfang 1974 wurde Glenn dann zum Senator des Staates Ohio gewählt. Dieses Amt hielt er bis 1999 inne.

Die zweite Chance

Es wird niemanden verwundern, dass sich John Glenn während seiner Zeit als Senator besonders für die Raumfahrt einsetzte. Was genau die Hintergründe für die Entscheidung war, ist unklar, jedenfalls gab die NASA 1997 bekannt, John Glenn würde an Bord eines Space Shuttle noch einmal in den Orbit fliegen. Offiziell wurde dies damit begründet, dass von Glenn aus seiner ersten Astronautenzeit sehr detaillierte medizinische Daten vorliegen und so das Verhalten eines alten Menschen in der Schwerelosigkeit gut verglichen werden kann. Auch der oft vermutete Werbeeffekt für die NASA wird wohl eine Rolle gespielt haben.

Glenn stürzte sich mit 76 Jahren voller Elan in die Ausbildung zum Nutzlastexperten. Ihm wurde der Flug STS-95 zugewiesen. Die Mission hatte astronomische Instrumente an Bord und führte verschiedene biologische und medizinische Experimente durch. Seine sechs Besatzungskameraden lernte Glenn während des Trainings genau kennen. Anfangs waren die vier Amerikaner, ein Spanier und eine Japanerin wohl etwas reserviert der Mercury-Legende gegenüber und sprachen ihn mit „Senator Glenn“ an. Dieser bestand darauf, „John“ genannt zu werden, dies regelte sich im Laufe der Zusammenarbeit. Gelegentlich wurden scherzhafte Bemerkungen gemacht, wenn Glenn Begriffe aus seiner Generation für Verfahren oder Geräte benutzte. Aber im Großen und Ganzen wurde Glenn von allen Beteiligten sehr umsichtig behandelt.

John Glenn bei einer Übung zum Einstieg in das Space Shuttle "Discovery"

„Den Boardingpass bitte!“

Einmal saß die Crew ohne Glenn zusammen und überlegte, welchen Streich man wohl dem ruhigen älteren Herrn in der Besatzung spielen könnte, ohne ihn dabei bloßzustellen. Glenns Angewohnheit, alles korrekt und genau nach Vorschrift zu erledigen, bot den idealen Angriffspunkt. Von Mitarbeitern der NASA ließen man sich täuschend echt aussehende Bordingpässe erstellen und drucken. Darauf wurde jedem Astronauten namentlich gestattet, das Space Shuttle zu betreten und am Flug teilzunehmen. Diese Pässe erhielten eine Reihe von wichtig aussehenden Stempeln und Unterschriften. Die Techniker im „Weißen Raum“, welche beim Einstieg halfen, wurden eingeweiht und spielten mit. Als es dann wirklich losgehen sollte, wartete die Crew im Weißen Raum in einer Schlange, hinten John Glenn. Nach und nach zog jeder der Astronauten seinen Boardingpass aus der Tasche, ein Techniker kontrollierte diesen sehr genau und gab einem anderen Techniker laut die Anweisung, diesem Astronauten sei es gestattet, das Shuttle zu betreten. Je näher Glenn der Luke kam, umso nervöser wurde er. Hektisch durchwühlte er alle seine Taschen im Anzug, wurde aber natürlich nicht fündig. Leise erkundigte er sich bei einem Techniker, wo er denn diesen Pass herbekäme. Ja, den hätten Sie schon vorher beantragen müssen, kam als Antwort. Als Glenn dann an der Reihe war und aufgefordert wurde, seinen Pass vorzulegen, konnte er nur darauf verweisen, dass man ihn über diese Formalität nicht informiert hatte, er aber schon gerne mitfliegen wolle. Da brach schallendes Gelächter im Raum und im Shuttle aus und Glenn war sichtlich erleichtert. 36 Jahre nach seinem ersten Raumflug, als 77-jähriger umrundete Glenn mit der „Discovery“ dann 134 Mal die Erde.

Die Besatzung der "Discovery" im Orbit, ganz oben: John Glenn.

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