Reinhard Mey über sein aktuelles Album

PPVMEDIEN GmbH
2020-07-17 11:23:00 / Musiker News & Infos
Reinhard Mey über sein aktuelles Album - Reinhard Mey „Das Haus an der Ampel“

Jedes dritte Jahr, meist in der dunklen Jahreszeit, kommen drei Menschen zusammen, die gemeinsam an der Aufnahme eines außergewöhnlichen Albums arbeiten, das wenig später in die Top 5 der deutschen Charts einsteigt. Die Rede ist von Reinhard Mey, seinem langjährigen Produzenten Manfred Leuchter und Toningenieur Jörg Surrey. Das jüngste Werk, Reinhards 28. Studio­album, trägt den Namen „Das Haus an der Ampel“. Wir blicken hinter die Kulissen einer Produktion, die sich inhaltlich wie akustisch den Titel Meisterstück verdient hat.


Produzent Manfred Leuchter, Toningenieur Jörg Surrey und Reinhard Mey im Teldex Studio.

Reinhard Mey ist ein einzigartiger Künstler: Mit spitzem Stift und scharfem Verstand schreibt er seit Jahrzehnten über Politisches und Persönliches. Dabei erreicht er eine inhaltliche Tiefe, die man nur zu gern auch bei anderen deutschsprachigen Künstler*innen erleben möchte. Obgleich seine Alben und Touren kommerziell ein Megaerfolg sind, berichtet er nicht gefügig die Themen, die Menschen von ihm hören möchten. Reinhard Mey bleibt Reinhard Mey – und ist immer für eine Überraschung gut.

Fragt man die beiden anderen Mitglieder der heiligen Familie über die Qualitäten des Künstlers, kommt direkt ein Statement zum hundertprozentigen Einsatz: Reinhard ist immer pünktlich, immer megavorbereitet und hat die Gabe, nach erfolgreicher Produktion loszulassen – und nicht ständig noch Änderungen zu wünschen. Frei nach dem Leitmotiv: Ich habe mein Bestes gegeben, die anderen auch, nun ist das Werk in der Welt.

Das Werk ist in diesem Fall sein 28. Studioalbum: „Das Haus an der Ampel“. Reinhard zieht hier (Lebens-)Bilanz – und schafft ganz nebenbei ein akustisches wie inhaltliches Meisterstück. Angefangen von tiefgehenden Songs über Leben, Lieben und Abschiednehmen bis hin zu einer einzigartigen Boutique-Produktion mit Meistern ihres Fachs: Produzent Manfred Leuchter konnte wieder eine bemerkenswerte Riege an Top-Instrumentalisten für „Das Haus an der Ampel“ gewinnen – und gab dem Album in den Bereichen Arrangement, Mischung und Mastering den richtigen Schliff.

Für Reinhards Vocal- sowie die Gitarrenaufnahmen der zweiten CD „Skizzenbuch“ war erneut Toningenieur Jörg Surrey verantwortlich, der mit viel Liebe zum Detail Reinhards Stimme mit dem legendären Neumann U47 aufgenommen hat, das Reinhard schon in den 1970er-Jahren nutzte.

Du hast dir für dein 28. Studioalbum ein Jahr mehr Zeit genommen. War das bei den vielen aktuellen gesellschaftlichen Themen erholsam möglich?

Reinhard Mey: Ja, denn genau so, wie ich mir eine feste Zeit zum Schreiben gebe, verordne ich mir Zeit, nicht zu schreiben, Zeit zum Erholen von den sechs Monaten „unter Tage“, Zeit, Neues zu erleben, Zeit zu leben. Zeit, in der ich mich darauf freuen kann, wieder schreiben zu dürfen, Zeit, bis ich mich nach meiner Dichterkammer sehne. Nach dem Winzervergleich trifft auch der mit dem Landmann zu, der klug sein Feld brach liegen lässt, um es danach, wenn es vom Tragen der Ernte erholt ist, wieder neu zu bestellen und zu säen. Du hältst im Rahmen des neuen Albums viel Rückschau, um nicht zu sagen, du ziehst eine Lebensbilanz. Reinhard: Die Songs kommen zu mir, ich frage nicht nach Stimmung, ich suche nicht nach einem Thema, um ein Konzeptalbum zu machen. Dennoch ergibt sich am Ende des Schreibens ein Leitmotiv, ein erzählerischer Bogen, der die Lieder verbindet. Dieser wird davon bestimmt, in welcher Lebensphase oder Gefühlswelt ich mich gerade befinde.

Wie findest du die Themen, über die du in deinen Liedern schreibst?

Reinhard: Ich glaube, dass die Themen oft mich finden. Sie begegnen mir in Gesprächen mit Fremden und Freunden, im Leben, in der Zeitung, manchmal lauern sie mir richtig auf. Sie nisten sich in meinen Gedanken ein und wenn ich mich in die Stille zurückziehe, lassen sie sich mit Geduld, Kraft und Liebe zu Liedern schmieden.

Wie entstand die Idee zu einer Doppel-CD aus Album und Skizzenbuch?

Reinhard: Ich mache meine Demos sehr sorgfältig, um meiner Frau, meiner ersten und meinem Herzen nächster Hörerin und Kritikerin, ein möglichst perfektes Hörbild von einem neuen Lied zu geben, und um Manfred für seine späteren Arrangements zu zeigen, wie ich mir das Lied denken könnte. So hatte ich die 16 Lieder an meinem Schreibtisch mit den rustikalen Bordmitteln der Dichterkammer aufgenommen. Das Resultat hat uns allen gefallen, und nach manchem Hören dachte ich, dass es vielleicht auch den Freundinnen und Freunden meiner Lieder Freude macht, dieses Stück der Entstehungsgeschichte des Albums mitzuerleben. Also habe ich die Lieder noch einmal in dieser schlichten Form, aber mit der perfekten Tontechnik des Teldex Studios aufgenommen. Die Aufnahmen waren noch deutlich entspannter als die an meinem Schreibtisch, denn alle aufnahmetechnischen Dinge lagen ja nun in den Händen von Manfred Leuchter und Jörg Surrey, ich musste nur singen und spielen mit Lust und Liebe, und ich finde, das hört man.

Was ist dein Geheimnis, als Songwriter so unfassbar diszipliniert zu schreiben?

Reinhard: Ich neige dazu, viele Dinge auf einmal zu machen und mich dabei gern mal zu verzetteln. Um mir nun nicht mit meinem eigenen Chaos ständig ein Bein zu stellen, habe ich mir zum Überleben und aus Selbstschutz strenge Strukturen und Disziplin auferlegt.

Wie sieht ein typischer Tag in der Schreibzeit aus?

Reinhard: 8.30 bis 13.30 Uhr Schreibtisch, Mittagspause, 15.00 bis 18.00 Uhr Schreibtisch, und 24 Stunden, rund um die Uhr, auch im Schlaf mit den Liedern leben. Die Gedanken, die Zeilen, die Noten bewegen mich immer in dieser Zeit und sie bewegen und entwickeln sich auch im Unterbewusstsein. Das hältst du sechs Monate durch, und dann bist du fertig in beiden Sinnen des Wortes!

Den vollständigen Produktionsbericht zu Reinhard Meys aktuellem Album mit ausführlichen Interviews lest ihr in Recording Magazin 5/2020 – die Ausgabe könnt ihr gleich hier im Shop bestellen!


Text: Frank Mischkowski
Fotos: Hella Mey (mit ganz besonderem Dank), Jörg Surrey, Frank Mischkowski


Blog