"Wenn du ein Arschloch bist, geh besser nicht online"

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2020-05-04 09:57:00 / Musiker News & Infos
"Wenn du ein Arschloch bist, geh besser nicht online" - Interview mit Lewis Capaldi

Der schottische Singer-Songwriter Lewis Capaldi jagt gern Rüpel im Netz. Ein Gespräch über soziale Medien, Produzenten und Auftritte als Elfjähriger.


Manchmal steigt Lewis Capaldi auf die Bühne und begrüßt sein Publikum mit den Worten: „Wenn ihr fette Kerle mögt, die traurige Lieder singen, seid ihr hier genau richtig.“ Dann lacht die Halle und Capaldi singt ein trauriges Lied – mit dem Look einer Ein-Mann-Kelly-Family und einer Stimme zum Niederknien. Im Bewusstsein darüber, dass kein Instagram- Filter der Welt ihm das Aussehen eines Boygroup-Stars verleihen wird, hat Capaldi im Netz eine Humor-Offensive gestartet. Damit scheint „die schottische Beyoncé“, wie er sich selbst nennt, einen Nerv zu treffen. Sein Nummer-eins-Album „Divinely Uninspired to a Hellish Extent“ avancierte im Jahr 2019 zu einem der bestverkauften Debüts eines britischen Künstlers der letzten Jahrzehnte.

Lewis, wie gut kannst du mit Kritik umgehen?
Ich liebe Kritik, aber ich höre sie nicht gern. Es ist gut, gesagt zu bekommen, wenn etwas an einem scheiße ist. Darin waren meine Eltern immer ausgezeichnet. Ich bin früher, wenn sie beim Fernsehen saßen, oft zu ihnen gekommen, um meine selbstgeschriebenen Songs vorzuspielen. Wenn sie das Stück gut fanden, haben sie gejubelt, aber vor allem meine Mutter hatte auch noch nie ein Problem damit, mir zu sagen, dass etwas nichts taugt. Das hat mir ein dickes Fell beschert.

Eine gute Vorbereitung für das Leben als Erwachsener, oder?
Es gibt heute zu wenige Leute, denen gesagt wird, dass sie schlecht in dem sind, was sie tun. Zu viele bekommen zu hören: „Super, weiter so!“ Ich bin zum Beispiel ein grauenhafter Fußballer und das hat man mir auch schon in jungen Jahren gesagt. Gott sei Dank, denn ich liebte Fußball und bestimmt wäre ich sonst irgendwann auf die Idee gekommen, Profi zu werden. Es geht nicht darum, Träume zu zerstören, aber man muss wissen, was man kann und was nicht. Es ist großartig, die Leute machen zu lassen, was immer sie wollen – aber es gibt eben auch Momente, in denen man Menschen sagen muss, dass etwas nicht stimmt.

Vermutlich existieren diese Momente in deinem Leben auch heute noch ...
Sicher, ich wollte zum Beispiel eine Menge Songs auf diesem Album haben, die nicht sehr gut waren. Es brauchte eine ganze Reihe von Leuten, um mir klar zu machen, dass die Stücke nichts taugten.

Wie weit bist du eigentlich in das Schreiben der Songs involviert?
Komplett. Manchmal arbeite ich aber mit anderen zusammen. Einen Coversong zu singen, wäre okay, aber ich möchte nichts unter meinem Namen veröffentlichen und es als Capaldi-Original anpreisen, wenn es nicht von mir stammt. Ich finde es toll, einen Song zu schreiben und dann zu sehen, wie etwas Größeres daraus wird, als man je gedacht hätte. Es ist unglaublich, dass man zuerst allein in seinem Zimmer sitzt und einen Song schreiben kann, den live dann tausende Menschen hören.

Du schreibst am Piano oder der Gitarre – am Computer arbeitest du dann aber nichts weiter aus, oder?
Nein, das würde ich tun, wenn ich es könnte. Mir fehlt für die Arbeit mit dem Rechner aber jedes Talent. Ich höre, wie es fertig produziert klingen müsste, doch mir fehlt die Fähigkeit, es auch so umzusetzen. Was mich unheimlich nervt, denn man hört sich halt wie ein Idiot an, wenn man sagt: „Ich möchte, dass die Drums so klingen: Dumm-da-dumm-da-dumm!“

Was macht einen guten Produzenten aus?
Für mich ist das jemand, der Dinge nicht nur verändert, damit sein Stempel auf dem Produkt hörbar ist. Wenn du mit solchen Leuten zusammenarbeitest, hast du es am Ende mit einem komplett anderen Song zu tun. Ich möchte jemanden, der mir zuhört und versteht, was ich will. Es gibt Produzenten, denen man eine Demo und Geld schickt und dann den fertigen Song zurückbekommt. Das war’s. Ich suche nach Produzenten, die genauso viel Leidenschaft in die Songs stecken wie ich selbst.

Muss man so eine Person mögen?
Das ist bestimmt nützlich, aber ich glaube nicht, dass es notwendig ist.

Viele erfolgreiche Musiker sind von Jasagern umgeben. Gibt es dagegen ein Rezept?
Da hilft es, schottisch zu sein. Wenn du dich wie ein Arschloch aufführst, wird dir ein Schotte das sofort sagen. Meine ganze Crew ist schottisch, bis auf eine Person, und die kommt aus Australien. Und der einzige Mensch, der noch ehrlicher zu dir sein wird als ein Schotte, ist ein Australier. Ich meine: Es gibt nur zwei Länder auf der Welt – Schottland und Australien – die das Wort „Cunt“ als Kosenamen verwenden. Seltsam, oder? In meiner Familie haben wir uns damit schon immer gerne aufgezogen ...


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