Pedalfreundliche Einkanaler

PPVMEDIEN GmbH
2019-07-09 12:09:00 / Musiker News & Infos
Pedalfreundliche Einkanaler - Verstärker für Effektgeräte


Die Frage lautet: Warum scheinen manche Amps besser auf Pedale zu reagieren als andere? Gehen wir einen Schritt zurück und schauen uns an, wie der Denkvorgang „Pedale und Einkanaler“ überhaupt erst zustande kam. Zum Glück haben wir es dabei nicht mit philosophischen Erörterungen à la „Wer war zuerst: Henne oder Ei?“ zu tun. Schließlich waren es bekanntlich zuerst die Amps, welche die Bühnen, Studios und Ohren dieser Welt eroberten. Was diese Amps gemeinsam hatten, waren folgende Parameter: Sie waren laut genug, einen Club – wohlgemerkt nicht nur das Schlafzimmer – zu beschallen, stammten aus den Fünfziger- bis Siebzigerjahren und beherbergten die gute alte Röhrentechnik. Nach und nach – und das haben wir wohl Jimi Hendrix und Carlos Santana zu verdanken – etablierte sich die Kunst, singende Gitarrentöne in seine Soli einzubinden. Dieses Singen entstand durch Kompression und Verzerrung, und die wiederum erreichte man durch Treble-Booster-, Fuzz- und Overdrive- und Distortion-Pedale wie Rangemaster, Fuzz Face oder Big Muff, Tube Screamer oder später die Proco Rat.

Die gute alte Zeit

All diese Pedale waren als externe Ergänzung der ursprünglichen einkanaligen Amp-Designs konzipiert. Man kann also davon ausgehen, dass die Prototypen all dieser Pedale an den Amps ihrer jeweiligen Entstehungszeit ausprobiert wurden – und genau deshalb klingen sie auch an den Klassikern der Fünfziger- bis Siebzigerjahre so gut.

Die meisten Verstärker Mitte der Siebziger hatten keinen Effektweg – nur wenige haben wirklich cleane Sounds geliefert, und so gut wie keiner hatte mehr als einen Kanal. Diese Situation und die daraus entstandenen Sounds haben sich in unsere Gehör- und Hirnwindungen geprägt wie die Rillen einer Vinylschallplatte. Und genau deshalb bemängeln wir Authentizität, wenn heute jemand ein digitales Wasauchimmer herausbringt, das den Sound auf völlig andere Weise und ohne jegliches vermeintliches Soundgeschichtswissen generiert. Der Markt reagiert also auf unsere Gewohnheiten. Das mag unter anderem auch der Grund sein, warum die Gitarristen equipmentbezogen die konservativsten Instrumentalisten in der Popularmusik sind. Aber das ist eine ganz andere Story …

Viel Headroom

Halten wir jedenfalls fest, dass viele der uns bekannten Pedale auf bestimmte klassische und meist einkanalige Verstärker in sozusagen althergebrachten Anwendungsbereichen zugeschnitten wurden. Somit kommen wir zum nächsten Punkt: Welche aktuell erhältlichen Verstärker bieten die beste Plattform für Zerr- und Effektpedale? Die natürlich nicht explizit formulierbare Antwort hier lautet: Amps mit vergleichsweise großem Headroom und offenem Sound bieten einen größeren Anwendungsbereich als Amps, die früh zerren oder die einen eingeschränkten Frequenzgang bieten.

Also ist der Ansatz ratsam, eben einen leistungsstärkeren Amp zu nehmen, der länger clean bleibt, und die Verzerrung nun statt von der Endstufe per Pedal abzurufen. Mit 20 bis 50 Watt hat man genügend Reserven, den Amp bei Bedarf mit im Pedal generierter Verzerrung zu füttern – für Puristen gibt es dafür auch röhrengetriebene Overdrive-Pedale. Auch Delay und Reverb oder Modulationseffekte kommen über einen cleanen oder mäßig crunchenden Amp deutlich lebendiger als über eine zerrende Endstufe unter Volllast – oder besser gesagt, klingen die Pedale besser hinter einem Zerrpedal als davor. Natürlich ist hier nicht alles in Stein gemeißelt – es gibt durchaus auch unglaublich cleane 18-Watt-Amps oder auch 50-Watt-Amps, die nie und nimmer clean werden. Das verwendete Beispiel beschreibt nur die allgemeine Normalverteilung.

Im Folgenden findet ihr nun eine Auflistung von Amps, die sich unserer Erfahrung nach besonders gut mit Bodenpedalen vertragen. Keine Angst, wir werden jetzt nicht wie die Ewiggestrigen nur Klassiker auflisten – müssen wir gar nicht, denn viele junge und smarte Hersteller gehen neue Wege, klassisch gewordene Klangkonzepte aufmerksam feinzutunen. Vorhang auf für die Single-Channel-Show!
 

Blackstar Artisan 30

Die Artisan-Serie markierte im Jahr 2007 den Einstieg Blackstars in den Markt und ist seit eh und je beliebt. Die in England entwickelten und in Asien gefertigten Amps überzeugen durch ihr tolles Preis-Leistungs-Verhältnis und vor allem ihren puristischen Sound. Der Artisan, der wie ein Vox AC30 seine 30 Watt über vier EL84 abgibt, verfügt über zwei verschiedene Preamp-Sektionen. Die mit EF86-Röhren besetzte Sektion bietet einen brillanten bis bis bissigen Klang, während die konventionelle ECC83-Sektion typisch britischen Preamp-Sound verspricht. Beide Sektionen können gemischt werden; weiterhin runden eine Leistungsreduktion auf zehn Watt sowie Bright- und Bassschalter das Konzept ab.

Fender Bassman

Der Bassman-Combo ist mit seinen über zwei 6L6-Röhren erzeugten 45 Watt heutzutage ein Witz, was die Anwendung für Bässe angeht. Dem zum Trotz hat er sich einen respektablen festen Platz in der Gitarrenwelt verschafft. Der alte Herr in klassischem Tweed klingt im besten Sinne woody, also holzig, und bietet jene knurrige Zerre, die wir von Eric Clapton und Keith Richards kennen. Er lässt sich außerdem hervorragend mit Fuzz- und Overdrive-Pedalen wild machen. Modulationseffekte sind bedingt einsetzbar – am ehesten Phaser, Flanger und Slap-Back-Echos. Für aufwendige Delay-Szenarien zerrt der Oldtimer etwas früh und garstig – außer man steht drauf, natürlich.

Fender 65 Deluxe Reverb

Auf unzähligen Platten und in mittlerweile ebenso vielen Youtube-Equipment-Videos bietet der leicht transportable Combo eine verlässlich nüchterne Basis für Pedalsounds aller Art. Was viele vergessen, ist, dass der mit zwei 6V6 betriebene 22-Watter auch selbst zerren kann, und da kläfft er auch gut los. Doch seine Stärke ist definitiv ein angenehmer Cleansound in einer gemäßigten Lautstärke. Dreht man ihn nicht voll auf, verträgt sich dieser Combo mühelos mit noch so komplexen Pedalboards und nahezu allen Effektpedalen.
 

Friedman Amplification Dirty Shirley 40

Ein sehr einfach aufgebauter Verstärker, der mit 35 Watt aus zwei 5881-Röhren deutlich auf dem Marshall-JTM45-Topteil fußt. Jedoch bieten Friedman-Verstärker von Haus aus mehr Gain an und orientieren sich somit an modernen Spielweisen oder Set-ups. Auch sein Einschleifweg ist absolutes High-Tech und für hochauflösende zeitgenössische Effektketten geschaffen. Der in Los Angeles gebaute High-End-Verstärker schlägt allerdings auch mit dem doppelten Anschaffungswert des Marshall-Klassikers zu Buche.

Marshall JCM800

Durch seinen typischen Crunch-Sound engt der Verstärker den Anwendungsbereich automatisch ein – manche empfinden dies jedoch als identitätsstiftend, und so bietet der 50 respektive 100 Watt starke EL34-Amp quasi den Instant-Hardrock-Sound. Interessant ist beim Design seines Effektweges, dass eingeschliffene Boost-Pedale oder solch clevere Boost-Reverb- oder Boost-Delay-Pedale wie die von Tech 21 den Sound lauter machen können, ohne die Verzerrung zu erhöhen. Mit diesen Tech-21-Pedalen ist der Ton mit einem Fußtritt lauter und um ein Delay oder Reverb ergänzt. Perfekt für Straight-Forward-Rocker! Interessant ist außerdem, mit dem Gain der Vor- und Endstufe zu experimentieren.

Vox AC30

Der auf dem im Jahr 1958 vorgestellten Vox AC15 basierende Combo AC30 ist ein unglaublich knalliger Amp, der mit seinen 30 Watt aus vier EL84 für die meisten Gig-Situationen laut genug ist und einen sehr charakteristischen Sound bietet. Im Indie-Bereich, der stark von George Harrissons Gitarrenerbe geprägt ist, hat man hier automatisch das passende Frequenzspektrum, um knurrige Zerrsounds, bewusst krachige – da nicht ganz cleane – Echo-sounds und flächige Rückkopplungen zu erzeugen. Der AC30 ist zwar alles andere als handlich gebaut, aber ein Klassiker, den man unbedingt einmal ausprobiert haben sollte. Durch seine Fertigung in China ist der Vollröhren-Amp darüber hinaus sehr erschwinglich – auch hat er heutzutage einen FX-Loop spendiert bekommen

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