Sticks gegen Stacks

PPVMEDIEN GmbH
2019-10-08 16:03:00 / Musiker News & Infos
Sticks gegen Stacks - Sticks-gegen-Stacks

In den 1970ern war vieles größer und länger: Autos, Haare und auch … Drumsticks. In dieser Folge von „Die Werkzeuge der Meister“ berichtet Autor Marcel Vogelmann über die Vorliebe der beiden Trommelhelden Paice und Powell für handfeste Stöcke und deren Antwort auf die Lautstärkeattacken eines gewissen Herrn Blackmore.

Zuerst einmal möchte ich mich bei allen werten Lesern für die vielen positiven Zuschriften bedanken. Viele Leser wollten in dieser Ausgabe mehr über das Werkzeug zweier „Kollegen“ erfahren, die beide an der Geschichte des Rock-Drumming kräftig mitgeschrieben haben. Beide machten unter anderem Erfahrung mit einem gewissen Herrn Blackmore - Ian Paice bei den englischen Hard-Rock-Königen Deep Purple und Cozy Powell dann bei der Band Rainbow, die Blackmore nach seinem Ausstieg bei Deep Purple zusammen mit dem US-Amerikaner Ronnie James Dio gegründet hatte.
Ritchie Blackmore, der heutzutage brav 50 Watt Combos der Firma Engl benutzt und seinem Drummer David Keith große Trommeln und Becken auf der Bühne verbietet, war früher für seine brachiale Bühnenlautstärke und mächtigen Marshall-Türme bekannt. Weder Ian noch Cozy konnten sich bei Proben oder Live-Gigs selber hören, so ist Meister Blackmore eigentlich der Namensgeber für diese Folge - (Drum)-Sticks gegen (Marshall)-Stacks - also „Trommelschtöckle“ gegen „Marshall-Türmle“, wie der Schwabe sagen würde.
Ich hatte das Glück, diese vorzüglichen  Drummer, die beide mein eigenes Schlagzeugspiel wesentlich beeinflusst haben, persönlich kennenzulernen. Cozy Powell im Jahre 1992, als wir mit der Band Yukon für Cozy Powell´s Hammer - mit Neil Murray am Bass und Toni Martin am Mikro - Support spielten. Tragischerweise verunglückte Cozy Powell 1998 bei einem Autounfall in England.

Geschickt am Hahn
Ian Paice traf ich das erste Mal in einem Hotel in Stuttgart. Ich sollte ihn im Auftrag für ein amerikanisches Vintage-Drum-Magazin zu seiner Zeit bei Ludwig interviewen. Anlass war ein Artikel über den kurz vorher verstorbenen Bill Ludwig II. Trotz dieses eher traurigen Anlasses war es ein schöner Abend, und ich kann euch versichern, dass Herr Paice fast so gut Bier zapfen kann, wie er - auch heute noch - Schlagzeug spielt. Alle Sticks und Fußmaschinen auf den Fotos befinden sich als Leihgaben im Schlagzeugmuseum in Ludwigsburg.
Beide Drummer ließen sich, um ihren vorzüglichen musikalischen Beitrag überhaupt selbst hören zu können, in den 1970er Jahren ihre Kits „custom made“ bauen, also nach ihren Vorgaben gefertigt. Für die Firma Ludwig stellte dies kein Problem dar, denn durch ihr großes Marching- und Orchestertrommel-Portfolio konnten sie damals nahezu jede Kesselgröße sofort herstellen.
Selbst Ian Paice verblüffte dieser Umstand, denn als er bei Bill Ludwig eine 26x18er Bassdrum, 18x16‘‘ und 20x18‘‘-Floortoms und ein 16x10er Tom bestellte, soll Herr Ludwig nur gesagt haben: „Sure, no problem, we´ll make it tomorrow.“
Das waren noch Zeiten. Auch bei Paiste, deren Produkte Powell und Paice gerne erklingen ließen und im Fall von Ian Paice noch heute lassen, scheute man sich nicht, 22“ oder 24er-Crashes zu machen. Cozy Powell unterzeichnete sein Endorser Agreement mit Paiste am 27. August kurz nach Ian, der den Vertrag bereits am 15. April 1971 unterschrieben hatte.
Ludwig soll ein 14x10‘‘-Tom, wie bei John Bonham vorgeschlagen haben, aber Ian fand das in der Relation zu den anderen Trommeln zu klein. Cozy hingegen griff bei Rainbow sogar zu jeweils zwei 14er-Toms und zwei 16er-Standtoms in Kombination zu seinen 26‘‘-Bassdrums.

Verschreiber mit Folgen
Jetzt fehlen nur noch die passenden „Stöckchen“ für die mächtigen Trommeln und Becken. Cozy Powell benutzte zu Rainbow Zeiten den Ludwig 3S, wobei das „S“ für „Street“ stand. Dabei handelte es sich um einen gewalttätigen Marching-Prügel, der einen schon damals beim bloßen Anblick Mitleid mit dem 6 Zoll Splash haben ließ. In der Equipment-Liste des legendären Rainbow-Live-Albums „On Stage“ von 1977 steht: Sticks Ludwig 35. Als 14-jähriger Jungenthusiast, der sofort bei der nächsten Probe klingen wollte wie König Cozy, bedeutete dies eine wahre Bummelzug- und Straßenbahn-Odyssee nach Stuttgart, nur um zu hören: „Hemmer net, kemmer net, gibt’s net“ (zu deutsch: Haben wir nicht, kennen wir nicht, gibt es nicht).
Als ich mich mit Cozy Jahre später unterhielt und fragte, ob das ein Druckfehler war, meinte er: „Na ja, irgendjemand dachte, das Equipment würde unsere Fans interessieren. Es musste alles schnell gehen und so kritzelte ich alles handschriftlich in einem Pub auf der King´s Road in London auf einen Zettel. Ganz nüchtern war ich da auch nicht mehr und da hat wohl irgendjemand mein schönes „S“ als „ 5“ identifiziert.“
Der Ludwig 3S, der nicht mehr gefertigt wird, hat eine Länge von 43 Zentimetern und einen Durchmesser von 17 Millimetern. Er wurde übrigens auch von Andy Parker bei UFO benutzt, allerdings erst in der Heavy-Phase der Band und mit dem deutschen Wunderkind Michael Schenker an der Gitarre. Ein eindrucksvolles Holzscheit, aber doch ein Waisenknabe gegen den Kawenzmann, der für Cozy nach seinem Wechsel zu Yamaha von Yamaha für ihn gemacht wurde.

...

Mehr über die Keulen von Paice und Powell erfahrt ihr in der DrumHeads!! 6/19. Im Heft findet ihr außerdem weitere spannende Stories sowie Testberichte, Workshops und Playalongs - darunter den Deep-Purple-Klassiker "Strange Kind of Woman".

Die aktuelle Ausgabe findet ihr hier in unserem Onlineshop.


Blog