Als Chefkonstrukteur Koroljow draußen bleiben musste

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Sergej Pawlowitsch Koroljow (1907 bis 1966) gilt heute als einer größten Wegbereiter der Raumfahrt. Als Chefkonstrukteur in der Sowjetunion gehen solch wichtige Erstleistungen auf sein Konto, wie der erste Erdsatellit Sputnik, die erste Mondsonde, die erste Sonde zu einem anderen Planeten und der erste Mensch im Weltall. Dabei war der Start in diese beispiellose Karriere alles andere als einfach. Seit seiner Jugend von der Fliegerei und Raketen begeistert, begann er mit einer kleinen Gruppe Mitte der 1930er-Jahre eigen Forschungen an Raketentriebwerken. Während der stalinistischen Säuberungen wurde er 1938 konterrevolutionärer Aktivitäten bezichtigt und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. In einem Lager wurde er mehrmals schwer krank und auch gefoltert. Ab 1940 arbeitete er als Gefangener im Konstruktionsbüro von Tupolew. Ab Ende 1942 konnte er sich wieder mit Raketentriebwerken befassen, als er zum Motorenwerk in Kasan überstellt wurde.

Sergej Koroljow (1907 - 1966)

Nachdem die in Deutschland erfolgte Entwicklung der großen Rakete Aggregat A4 (V-2) durch Agentenberichte bekannt geworden war, wurde Koroljow einer Gruppe zugeteilt, die Informationen darüber sammeln sollte. So kam er 1945 nach Deutschland, besuchte das Raketenforschungszentrum Peenemünde, Institute in Berlin und die Raketenfertigung im Mittelwerk im Harz. Die Gruppe befragte deutsche Wissenschaftler und Techniker und ließ Raketen aus vorhandenen Teilen zusammenbauen. Alle Siegermächte versuchten, sich so viel Wissen über die deutsche Raketentechnik wie möglich anzueignen. Die Amerikaner sicherten sich die führenden Köpfe der Raketenleute, die Sowjets begannen schnell eine Raketenproduktion aufzuziehen, doch die Briten gingen einen Schritt weiter und bereiteten den Start von drei erbeuteten V-2 vor.

Zuschauer beim Raketenstart in Cuxhaven. Koroljow steht rechts halb verdeckt neben seinem Kameraden mit Brille.

Bei Cuxhaven wurde unter britischer Kontrolle ein Startzentrum mit deutschen Truppen und Technikern eingerichtet. Dort wurde jeder Schritt der Vorbereitung zum Raketenstart genau dokumentiert. Da die alliierten Vereinbarungen einen Einsatz von Waffentechnik durch Deutsche verbot, kontaktierten die Briten ihre Alliierten und erwirkten eine Ausnahmegenehmigung, indem sie von allen anderen  Alliierten je drei Vertreter einluden, das ganze Geschehen genau und ohne Kontrolle beobachten zu dürfen. Auch die Sowjets benannten drei Vertreter – der ehemalige Häftling Koroljow wurde jedoch nicht entsandt. Bis zum Tag des ersten Startversuchs am 2. Oktober 1945 schien den Verantwortlichen in der sowjetischen Kommission jedoch klar geworden zu sein, dass Koroljow derjenige unter ihnen war, der am meisten Fachwissen besaß. Als die drei benannten sowjetischen Vertreter durch die britischen Absperrungen rund um den Startplatz geleitet wurden, versuchten die Sowjets die Briten unter Druck zu setzen und auch Koroljow Zugang zu den Raketen zu verschaffen.  Die britischen Offiziere bleiben jedoch gegenüber den ranghöheren sowjetischen Besuchern standhaft und ließen nur die drei akkreditierten Personen durch.

Einerseits waren die Briten schon viel früher als beispielsweise die Amerikaner davon überzeugt, dass man sich unmittelbar nach der Niederlage Deutschlands in einem neuen Konflikt zwischen der Sowjetunion und dem Westen befand. Andererseits waren die britischen Raketenfachleute noch erheblich verärgert, weil sie von ihren sowjetischen Verbündeten während des Krieges betrogen worden waren. Als die Rote Armee das deutsche Raketentestzentrum in Polen eroberte und dort viele wichtige Komponenten der V-2 erbeutete, hatten die Briten um Übersendung von Teilen gebeten, um nach Abwehrmöglichkeiten der gegen England verschossenen V-2 zu suchen. Die Sowjets stimmten scheinbar zu, als das Transportflugzeug mit den angeblichen Raketenteilen in England eintraf, erwies sich die Ladung aber als wertloser Flugzeugschrott.

So musste der spätere Chefkonstrukteur der Sowjetunion die Startvorbereitungen und den Flug der Rakete V-2 von Cuxhaven aus zu einem Ziel in der Nordsee aus größerer Entfernung beobachten und konnte selbst keine Erkenntnisse aus den Vorgängen ziehen. Es war eine von vielen Zurücksetzungen, die Koroljow zu ertragen hatte. Schließlich setzte er sich dank seines enormen Wissens und seiner Fähigkeiten als Manager an die Spitze des sowjetischen Raketen- und Weltraumprogramms. In Cuxhaven jedoch musste der Chefkonstrukteur draußen bleiben.

Die spannende Story des sowjetischen Wettlaufs nach deutscher Raketentechnik und die Weiterentwicklung in der Sowjetunion lesen sie ausführlich mit vielen Bildern in der FliegerRevue X 89 und als Fortsetzung in der FliegerRevue X 90.


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