Charlie Watts – der andere Stone

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2021-10-12 16:06:00 / Musiker News & Infos
Charlie Watts – der andere Stone - Charlie Watts – der andere Stone

Mit Charlie Watts verstarb am 24. August 2021 eine der großen Ikonen des Rock’n’Roll. In seinem Nachruf beleuchtet Matthias Penzel die verschiedenen Seiten des Drummers, dessen eigentliche Passion eine andere war.

Würdigung nach Maß. Wie bei Großkonzert, Fußballstadion, Street fighting Men haben sich durch Staus geackert, jetzt Securitycheck, Arme hoch, wer hat was, wer weiß was ... was die meisten anderen nicht wissen? Watts mochte nie Rock’n’Roll. Das ist amtlich, belegt. Er wurde nie müde, darauf hinzuweisen, dass er von Motown oder Chuck Berry keine Ahnung hatte, als ihn die Stones 1963 von Alexis Korner kaperten. Okay, das ist das Ticket, ab jetzt aber nix von der Stange.
Klar, Keith Richards ist der, zu dem jeder eine Anekdote hat. An ihm messen sich gut abgehangene Ewig-Rocker wie Vielsäuferinnen. Keith hat den Look, den Sound, die Einstellung. Wenn er neue Saiten aufzieht, sind ihm fünf genug. Look und Sound, mit Detailliebe verschlampt. Altert so wenig wie der ganze Typ, weil er immer schon verlebt und so grandios abgewrackt war.
Gegenüber diesem schrecklich schönen Image des Verlotterten dann Mick Jagger – kein Kunststudium wie Lennon, Richards, Bowie, sondern BWL. Für Zuhörer wie Radio-DJs gleich das nächste Paradox: Stones-Songs, die man nennt und kennt, wurden im großen Ganzen in den Sixties veröffentlicht, in den frühen Siebzigern besonders schön kaputte mit Brown Sugar von Sister Morphine ersonnen. Only Rock’n’Roll but we like it. Nach Bill Wymans endgültigem Ausstieg 1993 bestand das, was gemeinhin als größte Rock’n’Roll Band der Welt gilt, nur noch aus drei Leuten plus diversen Musikern auf Payroll. Der dritte wurde eigentlich erst ab erfolgreicher Behandlung von Kehlkopfkrebs heftig beklatscht oder beachtet. Um den geht es. Es wird ein steiniger Weg, voller Widersprüche, auch mit Verschüttetem aus der Steinzeit elektrisch verstärkter Musik.

Demut und Grenzen

Drummer, die neulich mitverfolgten, wie insbesondere »alte weiße Männer« jetzt – sechzig Jahre später – die Raffinesse von Watts‘ Drumming, seiner ausgeklügelten Hi-Hat-Technik, auch Manieren und Dreiteiler (usw.) anhimmelten, die können kaum anders als zu reagieren wie Watts: tief Luft holen, Kopf nach hinten, Luft halten, funkelnd lächelnde Augen, dazu den Mund stoisch schweigend nach unten ziehen. Was für ein ausgemachter Quark. Sagte er nicht. Das Sentiment ist ihm aber anzusehen: »Das Trommeln ist eine Sache. Drummer habe ich mir angeschaut – und mit Trommeln habe ich meinen Lebensunterhalt bestritten. So gut werden wie die, die ich beobachte, kann ich nie werden...« Seine eh kaum vorhandenen Lippen zieht er dabei zwischen die Schneidezähne. Mund zusammengepresst. »...was unglaublich frustrierend ist.« Dann das Lächeln, etwas irre oder zutiefst weise, das sich nur im Strahlen der Augen äußert. »Und wenn du denkst, du hast’s nun raus, gehst du in einen winzigen Club in New Orleans, und da spielt ein Typ – keiner hat von dem gehört außer fünf Leuten, die in der Band mitspielen – und der bringt Sachen, wo du dir denkst...« Wieder die Lippen zusammengepresst, Augenbrauen hoch. Ghost notes, ohne Worte. »Oder du siehst einen Meister, jemanden, von dem man erwartet, dass er sehr gut ist, und dann ist er ... und du denkst: Nie im Leben werde ich da rankommen.«
Der gemeine Fan am Stammtisch schwärmt da ja kennerhaft ganz anders, mit exquisit anmutenden Superlativen, die er sich wie Medaillen des ausgefuchsten Geschmacks anpinnt. Watts dagegen wortlos, ernüchtert vor Ehrfurcht. Rhetorik verschnuddelt oder four-on-the-floor: so dass es jeder kapiert, bis in die letzte Reihe im Stadion. Sein Spiel – shuffelnd mit der Rechten zu 4/4-Takt und mehr – wurde in DrumHeads!! 5/21 beeindruckend analysiert. Das mit der Hi-Hat bleibt faszinierend, da niemand weiß, ob er aus Trägheit oder Sparsamkeit, vielleicht auch für den extra Punch auf die Snare diese eine reichlich einmalige Eigenart entwickelte, bei Snare-Backbeats mit der rechten das Hi-Hat nicht zu schlagen. Irgendwer schrieb, Watts habe damit Anfang der 1990er, mit fast 50, begonnen, Armin Rühl rätselte darüber bereits Jahre vorher in Clinics. Richtig viel Aufmerksamkeit galt dem Timekeeper hinter Jagger/Richards nicht. Echt nicht. Ihm recht.

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© Getty Images


Mehr aus dem Leben von Charlie Watts sowie ein Interview mit seinem Drumtech ist in DrumHeads!! Ausgabe 6/2021 zu finden.


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