Analog-Sound: Stage und Studio

PPVMEDIEN GmbH
2018-03-12 11:00:00 / Musiker News & Infos

Aufmacher

Analoger Sound – was ist das eigentlich? Vielen Musikern fallen spontan Worte wie Wärme, Dichte oder Wohlklang ein, während sich ein verklärter Blick ergibt. Doch stimmt das oder ist der Analog-Sound nur ein moderner Mythos, der durch moderne Plugins abgeschafft gehört?

Begriffe die häufig verwechselt werden: Vintage-Sound und Analog-Sound. Klar, in vergangenen Jahrzehnten war jede Aufnahme rein analog. Aufgezeichnet wurde auf Band und gemischt über ein großes analoges Pult. Effekte waren entweder schon im Kanalzug vorhanden (EQs und teilweise Dynamics) oder wurden via Insert oder Aux-Weg als externe Hardware eingebunden. Mehrere, große Sideracks standen in jedem Studio. Die Klangqualität war – ein fähiger Kopf hinter den Reglern vorausgesetzt – natürlich klasse. Eine gewisse Klangästhetik (Vintagesound), die man mit dieser Zeit verbindet, liegt aber nicht nur an der Recording-Kette sondern auch an anderen Faktoren. So wurde überwiegend live mit hervorragenden Musikern in tollen Räumen aufgenommen. Zeit und Budget waren ausreichend dimensioniert, um tolle Alben zu produzieren und vieles mehr.

Vintage-Sound ist also nicht nur Analog-Sound. Genauso wie legendäre Alben gleichfalls mit den „bösen“ digitalen Werkzeugen gemacht werden können. Man denke an „Two Tribes“ von Frankie Goes To Hollywood oder Michael Jacksons „Bad“, die beispielsweise durch das Synclavier geprägt worden sind. Dabei handelt es sich um eine digitale
Sample-/Keyboard-Workstation, die zugegebenermaßen auch einige edle analoge Komponenten enthält.

Clouds Hill StudiosDas „Clouds Hill Recording Studio“ in Hamburg ist ein Paradebeispiel für ein analoges Musikstudio.

Anfang der 1990er Jahre wurden Musik-Studios immer digitaler. Alesis machte mit ADAT-Recordern (8-Spur Digitalmaschinen auf Videokassettenbasis) einen entscheidenden Schritt in diese Richtung. Viele Produzenten trennten sich von ihren großen Mischpulten. Digitale Pulte von Yamaha, Mackie (zum Beispiel db8) oder ProTools-Systeme traten in deren Fußstapfen und wurden zum Herzstück der Studios. Geringere Kosten, weniger Wartungsaufwand und Total-Recall waren für Studiobetreiber Motivation hier auf die „digitale Seite der Macht“ zu wechseln. Auf einmal war es möglich, mit überschaubarem Budget ein Homestudio zu errichten und professionelle Mehrspurproduktionen zu fahren. Analoge Technik hatte kaum Nachfrage. Die Gebrauchtmarktpreise purzelten in den Keller. 

Gerade im Klassikbereich waren Tonmeister anfangs von der Digitaltechnik ebenfalls angetan. Analoge Schallaufzeichnung mit ihrem eingeschränktem Dynamikumfang und eben diesen harmonischen Verzerrungs-/Sättigungseffekten passten so gar nicht zu dieser Musik. Der Dirigent Herbert von Karajan machte sich in der Frühphase der CD für digitale Aufnahmen und den digitalen Tonträger stark.

Das Ende der analogen Technik lag in nicht allzu weiter Ferne. Auf der einen Seite war im digitalen Produktionsalltag noch lange nicht alles perfekt. 16-Bit-Sound, geringer Festplattenspeicher, Probleme wie Jitter und Wordclock-Synchronisation, beschränkte Kabellängen und Latenzen kamen als neue Problemfelder auf die Studiobesitzer zu. Auf der anderen Seite spaltete sich der Markt der analogen Technik. Neben günstigen Produkten, von denen einige mehr als Rauschgenerator denn als Mischpult bezeichnet werden konnten, kamen nach und nach hochwertigere Geräte hinzu. Edle analoge Schätzchen mit hochwertigen Bauteilen sollten dem digitalen Sound Wärme und Punch bringen, den manche Anwender schmerzlich vermissten. Für Overdub-Recordings in den eigenen vier Wänden reichen oft ein oder zwei hochwertige Channelstrips. 

Die Magie des Bandes

Meine erste Begegnung mit analogem Recording liegt einige Jahrzehnte zurück. Genau genommen war es damals sogar der Anfangspunkt meiner Recording-Tätigkeit. Es handelte sich um ein AKAI MG1212. Eine Kombination aus 12-Spur-Bandmaschine und 12-Kanalmixer. Aufgezeichnet wurde analog auf ein Medium, ähnlich einer Videokassette. Zusammen mit einfachem Hallgerät und einem Mikrofon war mein Studio komplett. Da war er, der analoge Sound! Damals noch ohne Alternative.

Digitale Mehrspurmaschinen (zum Beispiel von Sony) hatten Preise jenseits meiner Ressourcen und irgendwie konnte ich meine Eltern nicht überreden, ihr Häuschen gegen eine Bandmaschine einzutauschen. Digitale Harddisk-Recorder oder DAWs gab es noch nicht.

BandmaschineEine Studer A827 Bandmaschine mit Tonköpfen.

War ich im analogen Himmel? Ja und nein. Viel Spaß und kreative Sternstunden habe ich erlebt, aber ich erinnere mich auch noch gut daran, wie viel Schweiß und Tränen mir dieses Ungetüm beschert hat. Mehr als einmal hat sich das Band verheddert und konnte nur durch gutes Zureden und Schraubenzieher wieder gerettet werden. Das Übersprechen der Kanäle war deutlich, die Aufnahmezeit stark begrenzt, das Bandmaterial teuer und das Grundrauschen hoch. Irgendwann tauschte ich die Maschine gegen eine „richtige“ Bandmaschine aus. Doch als dann die ersten DAWs erschwinglich wurden wichen Bandmaschine und ATARI einer Windows-Cubase-Installation.

Trotzdem denke ich manchmal wehmütig an die Zeit zurück und ab und an beneide ich Kollegen, die heute in ihren modernen Studios noch eine Bandmaschine stehen haben. Doch warum nehmen sie die Beschwerlichkeiten auf sich? Die Antwort, die man erhält, ist immer die gleiche: Der Sound. Doch wie entsteht der?

Das Audiosignal wird über einen sogenannten Aufnahmekopf via Magnetisierung auf das magnetisierbare Band geschrieben. Abgehört wird über den sogenannten Wiedergabekopf und wollte man Spuren oder Bänder löschen, war der Löschkopf am Zuge. 

Ein weiterer geliebter Effekt ist die Bandsättigung. Digitale Aufnahmesysteme haben eine eindeutige Aussteuerungsgrenze. Pegelt man darüber erhält man digitales Clipping. Das klingt unschön. Bei der Aufzeichnung mit heißen Pegeln findet hingegen durch das Band eine Verdichtung, ähnlich einer Kompression statt. Die Magnetteilchen im Bandmaterial können nicht weiter magnetisiert werden und geraten in die Sättigung. Es entstehen harmonische Verzerrungen und künstliche Obertöne.  Hinzu kommt, dass die Sättigung nicht schlagartig einsetzt, sondern in einer weichen Kurve erfolgt. Je mehr Pegel ihr auf die Bandmaschine schickt, desto mehr Kompression erhaltet ihr. Da die dahinterstehende Physik aber anders als bei einem Opto-/Transistor-Kompressor ist, kommt ein anderer Klang zustande. Artefakte durch „falsch“ eingestellte Attack- und Release-Zeiten sind hier nicht an der Tagesordnung. Zum Tape-Sound kommen natürlich alle elektrischen Komponenten hinzu, die innerhalb einer Bandmaschine verbaut sind: Verstärkerschaltungen, Filter, Rauschunterdrückung und Tonköpfe. Völlig andere Schaltungen als bei einem Audiointerface. Das hat Einfluss auf den Sound. Viele Tontechniker finden diese Artefakte aber nicht störend, sondern als wohlklingend. In tiefen Frequenzbereichen kann eine Bandmaschine wie ein EQ wirken. Abhängig von der Bandgeschwindigkeit (in der Regel angegeben in Inch pro Sekunde, übliche Werte sind hier 15 ips und 30 ips) werden bestimmte Frequenzen betont. Ein Effekt, der zum Beispiel bei der Aufnahme von Drums oder Bass gezielt genutzt werden kann. 

Natürlich ist eine Bandmaschine nicht das einzige analoge Equipment. Verstärker, Synthesizer, Mikrofon-Vorverstärker, Kompressoren oder Delays. In allen Geräteklassen gibt es reichlich Vertreter mit analogen Schaltungen in unterschiedlichen Ausprägungsgraden. 

Röhre versus Transistor

Eine Debatte die oft mit Vehemenz geführt wird, ist die Diskussion Röhre vs. Transistor. Um eines vorweg zu nehmen: Die Auffassung der guten Röhre und des bösen Transistors ist völliger Quatsch. Eine ausgezeichnete Transistorschaltung kann viel besser klingen als ein billiges Röhrengerät. Hinzu kommen weitere Vorteile von Transistoren was Platzbedarf, Abwärme, Gewicht, Anfälligkeit und Preis betrifft.Was macht den Röhrensound aus? In Röhrenschaltungen treten häufig Verzerrungen im Bereich der ersten Obertöne (Oktave und Duodezime) auf.

RöhrenBackofen Ahoi: Arbeitende Röhren fangen bei Betriebstemperatur an zu glühen und geben Wärme ab.

Wir haben es mit gradzahligen Frequenzverhältnissen zu tun. Diese musikalisch „sinnvollen“ Verzerrungen sorgen unter anderem für den geliebten Röhrensound. Bei Transistorschaltungen werden andere Obertöne (Harmonische) angeregt. Die stehen hierbei in abweichenden Frequenzverhältnissen zur Fundamentalschwingung. Musiktheoretisch ausgedrückt: nicht rein klingende Intervalle wie Oktaven und Quinten sondern Terzen, Sekunden, bis hin zu Mikrointervallen.

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Interesse am vollständigen Artikel? Wie es weiter geht, erfahrt ihr in SOUNDCHECK 04/2018.


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