Sylvia Massy zählt zu den einflussreichsten Toningenieuren der Welt. Sie ist nicht nur für ihre Zusammenarbeit mit Prince, Johnny Cash, Tool und anderen bekannt, sondern auch für ihren Einfallsreichtum beim Recording. Wir haben uns mit ihr über ihr „Adventure Recording“ unterhalten.
Hier posiert Sylvia Massy mit einem 16-kanaligen Mischpult von Watkins Electric Music (WEM). Foto: Sylvia Massy
Sylvia Massy ist eine amerikanische Toningenieurin und Produzentin. Ausgangspunkt ihrer Karriere und der Neugierde für Audioproduktion war die Radiostation ihrer damaligen Universität. Mittlerweile ist sie seit über 35 Jahren im Geschäft und hat in dieser Zeit mit vielen Künstlern und Bands wie System of a Down und Red Hot Chilli Peppers gearbeitet und vor allem viel experimentiert. Unter dem Titel „Adventure Recording“ gibt Massy Einblicke in ihre ungewöhnlichen Aufnahmeprozeduren.
KEYS: Ich habe ein paar Adventure-Recording-Videos auf der Website gesehen. Die Ergebnisse sind wirklich beeindruckend und oftmals erstaunlich. Vor allem die Aufnahme unter dem Kamin eines Atomkraftwerks fand ich sehr spannend.
Sylvia Massy: Genau, das war in einem Kühlturm eines stillgelegten Kernkraftwerks im Bundesstaat Washington hier in den USA. Es ist ein riesiger Betonturm, ähnlich wie ein Silo. KEYS: Der Nachhall, insbesondere der Snare, war unglaublich. Sylvia Massy: Ja, es war verrückt! Diese Orte können sehr aufregend sein. Außerdem klingt es oftmals anders als erwartet. Es gibt viele Überraschungen.
KEYS: Wie kommst du auf solche Ideen?
Sylvia Massy: Ich lese sehr viel. Wenn ich zufällig etwas Interessantes sehe, behalte ich es im Hinterkopf. Natürlich mache ich mir über die akustischen Eigenschaften Gedanken. Wenn ich ein Projekt habe, das zu diesen Eigenschaften passen könnte, kommen mir diese Orte wieder in den Sinn.
KEYS: Der Ort hat vermutlich auch eine inspirierende Wirkung, nicht nur akustisch, sondern auch auf die Performance der Künstler …
Sylvia Massy: Absolut. Ich war beispielsweise mit einem Künstler im Schloss Röhrsdorf bei Dresden. Wir haben uns das Kunstmuseum angesehen und ein paar Aufnahmen gemacht. Wir hatten keine Genehmigung und haben das sozusagen „undercover“ aufgenommen. Zuerst waren wir uns noch unsicher, ob wir überhaupt reinkommen würden, aber wir haben uns höflich und leise verhalten und uns reingeschlichen. Ich hatte ein Mikrofon und einen Recorder, den Mix Pre-10 von Sound Devices, unter meiner Jacke versteckt. Wir haben den richtigen Zeitpunkt abgewartet und aufgenommen. Die Aufnahme war gut und wir konnten sie benutzen – weniger wegen der Akustik, aber wegen der Inspiration des Sängers vor den ganzen Kunstgegenständen.
KEYS: Das war sicher spannend. Da gehört bestimmt viel Trial und Error dazu.
Sylvia Massy: Auf jeden Fall. Manchmal hat man eine großartige Idee und dann stellt sich raus, dass es nicht funktioniert. Einmal hatten wir die Idee, für ein Gitarrensolo den Klang einer Gitarre, die von einer Klippe fällt, einzubauen. Alle haben sich auf den Tag gefreut und die „Opfergitarre“ wurde bemalt und jeder ritzte seinen Namen hinein. Wir sind also nach Malibu, Kalifornien, an eine Klippe gefahren. Dort haben wir verschiedene Gitarren-Cabinets aufgebaut, um ein schönes Feedback zu bekommen. Danach haben wir die Gitarre hinuntergeworfen und den Klang dabei aufgenommen. Das war ein unvergessliches Erlebnis. Leider hat die Aufnahme im Song nicht funktioniert. Trotzdem war es ein großes Ereignis bei der Produktion der Platte.
KEYS: Gab es auch Situationen, in denen du die Aufnahme abbrechen musstest, weil der Klang überhaupt nicht gepasst hat?
Sylvia Massy: Bisher nicht. Nur einmal haben meine Aufnahmegeräte nicht funktioniert. Das war auf dem Glockenturm der Prager Burg. Ich hatte zwei dabei und habe sie vorher getestet – haben wunderbar funktioniert. Als ich dann ganz oben auf dem Turm war, ging keines von beiden mehr und ich konnte den Fehler auch nicht finden. Letztendlich habe ich die Aufnahme dann einfach mit meinem iPhone gemacht, was überraschend gut funktioniert hat. Manchmal muss man eben spontan sein. Das war gleichzeitig eines meiner aufregendsten Erlebnisse. Die Glocken sind riesig. Das war ein faszinierendes Ereignis.
KEYS: Es ist interessant zu sehen, dass obwohl ein Studio optimale Aufnahmebedingungen bietet, Künstler trotzdem für diese abenteuerlichen Exkursionen bereit sind. Wie findest du geeignete Orte?
Sylvia Massy: Ich halte meine Augen immer nach spannenden Orten offen. Zum Beispiel gibt es eine Höhle auf der Halbinsel Yucatan. Inmitten des türkisfarbenen Wassers ist eine Plattform. Dort möchte ich unbedingt noch aufnehmen. Eine weitere Idee ist, in einem Gletscher aufzunehmen. In Island gibt es Gletscher mit Tunnel und Räumen. Das dürfte eine interessante Aufnahme geben. Solche Ideen schreibe ich dann immer auf eine imaginäre Liste. Wenn ich mal mit einer isländischen Band arbeite, werde ich ihnen diese Idee auf jeden Fall unterbreiten.
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Text: Christoph Strauß